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Der Stand der Dinge in Sachen Essbare Stadt Köln

Das Interview führte Helga Fitzner mit Valentin Thurn am 1. Juli 2018.

Helga Fitzner: Der Ernährungsrat Köln und Umgebung wurde vor drei Jahren gegründet. Was hat sich in dieser Zeit getan? 
Valentin Thurn: Wir hatten beschlossen, erst einmal mit konkreten Projekten anzufangen. Die Essbare Stadt ist das Erste, bevor wir uns an das große Ganze wagen und eine umfassende Ernährungsstrategie für Köln entwickeln. Für die Essbare Stadt sind wir erst einmal froh, dass ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin angestellt werden konnten, die seit einem dreiviertel Jahr Anfragen und Projekte koordinieren. Es sind auch schon viele Einzelprojekte angegangen worden, am Rathenauplatz, am Ebertplatz und anderen Orten in Köln, wo bereits Essbares gepflanzt wurde. Da war es wichtig, dass ein qualifizierter Plan vorlag, weil sonst das Grünflächenamt gesagt hätte: ‚Was wollt ihr hier eigentlich? Das ist ja alles unprofessionell.‘ Andersherum muss man aber auch Leute vor Ort finden, am besten Anwohner, und das haben unser Team und die vielen Ehrenamtlichen an einigen Plätzen in Köln schon geschafft. Es sollen natürlich noch viele andere dazu kommen. 

Mit der Webseite für die Essbare Stadt hinken wir aber etwas hinterher. 
Für die Essbare Stadt sind wir erst einmal froh, dass es eine Webseite geben wird (Anm. d. Red.: Das hier ist die erwähnte Webseite). Leider hat das ein bisschen gedauert, wie das so oft mit technischen Dingen passiert. 

Ein weiterer Meilenstein war die Erstellung des Aktionsplans „Essbare Stadt Köln“. Hat die Stadt Köln da schon reagiert? 
Ja und nein. Wir werden den Plan natürlich in die Ernährungsstrategie integrieren. Das ist jetzt noch nicht so weit wie in Todmorden bei diesem schönen Projekt „Incredible Edible“ in England. Die haben einfach gemacht. Da kam es vor, dass über Nacht stacheliges Grün durch essbare Pflanzen ersetzt wurde.

Hatten die sich nicht mit der örtlichen Verwaltung und der Polizei verbündet? 
Nein, zuerst hatte die dortige Stadtverwaltung Probleme damit. Dann haben die aber gemerkt, dass sich die Initiatoren wirklich drum kümmern. Die reißen nicht nur Pflanzen heraus, sondern sie pflanzen etwas Neues. Erst daraufhin ist es positiv aufgenommen worden. Jetzt sind wir hier in Deutschland und haben den etwas softeren Weg gewählt mit der Essbaren Stadt. Nicht so wild und guerilla-mäßig, sondern die Stadtverwaltung nach möglichen Flächen gefragt. Anfänglich bestanden sehr große Bedenken, dass wir jetzt mit Hochbeeten aus Europaletten die Parks verschandeln. Aber diese Art von Gemeinschaftsgarten ist ja nur ein Typus von vielen möglichen. Das haben die von der Verwaltung dann verstanden. 

Sind wir denn nicht viel beweglicher als der Verwaltungsapparat?  
Für die Stadt ist es wirklich schwieriger, die Leute zu erreichen. Wir haben da so eine Art Transmissionsaufgabe. Wir sind näher an den Bürger*innen dran und gleichzeitig kanalisieren wir auch die Anfragen. 

Das Thema Essbare Stadt wird auch an die junge Generation herangetragen. 
Um eben klar zu machen, woran wir sind, haben wir neben der Essbaren Stadt noch ein zweites großes Projekt. Wir arbeiten mit den Kitas der Stadt, um regionale Lebensmittel in die Kindertagesstätten zu bringen. Das sind auch wieder Projekte, die konkret sichtbar sind. Wenn die Kinder zum Bauern herausfahren können, dann freuen sich auch die Erzieher*innen und sagen: ‚Es ist eine Bereicherung für das, was wir machen.‘ Das sind richtig greifbare Ergebnisse. 

Man braucht die Stadt Köln aber nicht für alles? 
Es gibt auch private Flächen, auf denen Menschen etwas machen wollen. Ich habe jetzt von einer Freundin gehört, die an dem Bau eines Gemeinschaftshauses in Köln Ehrenfeld beteiligt ist, dass da wie selbstverständlich eine Dachbegrünung und ein Dachgarten mit geplant werden. Da brauchen wir die Stadt gar nicht groß. Aber die Leute brauchen trotzdem Beratung. Das wollen wir leisten. Dazu sind unsere zwei Leute da. Die kann man anrufen und anfragen, ob man für eine Dachbegrünung eine Genehmigung braucht oder was man bei der Statik berücksichtigen muss. Die Dächer sind nicht dafür ausgelegt, dort schwere Hochbeete aufzustellen, aber was ist, wenn man einen Meter Erdschicht dort anlegen will? 

Ist es richtig, dass die bestehenden Flachdächer oft gar nicht stabil genug für Dachgärten sind? 
Die Häuser sind vielfach so gebaut, dass vorgesehen wurde, vielleicht noch mal ein Stockwerk oben drauf zu setzen. Dann aber kommt die Frage, wie man das Dach richtig abdichten kann. Das ist einer der wenigen Zwecke, wo ich sage, dass PVC gar nicht schlecht ist. PVC ist natürlich von der Herstellung her problematisch wegen der Chlorchemie, aber es hält Jahrzehnte und ist so stabil, dass es von keiner Wurzel durchtrennt werden kann. 

Die eingangs erwähnte Ernährungsstrategie ist eine sehr umfassende Maßnahme. Wäre die für die Stadt Köln überhaupt machbar? 
Ein Masterplan für die Ernährung von Köln wäre erst einmal nicht greifbar. Das würde Jahre dauern. Doch um in der Politik etwas zu verändern, braucht man so eine Zielvorstellung. Aber das ist ein dickes Brett. Vor allem in einer Stadt, die eigentlich pleite ist. In München haben sie es aufgrund ihrer Finanzlage etwas leichter, aber das ist hier in Köln nicht der Fall. 

Die Strategie ist trotzdem unverdrossen in Arbeit? 
Wir sind gerade dabei, sie zu erarbeiten. Es ist gut, dass wir mit dem Konkreten begonnen haben. Viele Menschen kennen den Ernährungsrat noch nicht, dann verstehen sie eine Ernährungsstrategie wohl auch nicht. ‚Wer seid ihr, dass ihr das überhaupt macht? Ist das nicht Sache der Stadt?‘ Am Ende müssen wir das natürlich gemeinsam mit der Verwaltung und Lokalpolitik machen. Aber ich finde es gut, dass es eine Initiative aus der Bürgerschaft gibt, die so etwas anstößt und dranbleibt. 

Inwieweit kann man auf den geäußerten guten Willen der Stadt Köln bauen? 
Verwaltung ist kein Monolith. Verwaltung besteht aus vielen Individuen und da gibt es Bremser genauso wie welche, die unsere Idee toll finden. Damit muss man leben. Es gibt in der Verwaltung Leute, die Bürgerbeteiligung eher lästig finden. Andere sagen: ‚Gut, das brauchen wir.‘ Das muss man in einer Art und Weise kanalisieren, dass die Verwaltung nicht lahmgelegt wird. Deswegen gibt es unsere zwei Mitarbeiter, die sich um die Essbare Stadt kümmern, so dass der Leiter des Grünflächenamtes noch weiter seinem Job nachgehen kann und nicht nur noch mit der Bürgerschaft interagieren muss. Ich denke, die Stadt könnte noch ein bisschen mehr machen, das kommt vielleicht alles noch. Zum Beispiel unsere konkreten Vorschläge verstärkt voranbringen, wenn es um Essbare Stadt geht. 

Was steht denn ganz oben auf der Wunschliste? 
Die Stadt könnte einen oder mehrere gärtnerisch erfahrene Menschen einstellen, Profis, die dann wiederum unsere Gemeinschaftsgärten, Schrebergärten und alle möglichen anderen Orte in der Stadt beraten, und zwar so, dass sie mehr ernten können. Das kann man vervielfachen, wenn man weiß, wie es geht. Viele von uns haben nicht so viel Ahnung, wir sind nicht alle in der Landwirtschaft aufgewachsen, haben aber trotzdem Spaß am Gärtnern. So eine Anleitung dauert vielleicht eine Stunde. Die kann die Stadt bezahlen, wenn sie sagt, dass es ein Politikziel für sie ist, dass die Bürger wieder Kontakt zu ihren Lebensmitteln bekommen, damit die Bereitschaft wächst, besser einzukaufen, vielleicht auch mal mehr Geld für Qualität hinzulegen, zumindest diejenigen, die es sich leisten können. Für die anderen brauchen wir andere Lösungen. Es muss ja auch bezahlbar bleiben. Die hier in Köln gepflanzten Obst- und Gemüsesorten auf öffentlichen Grünflächen, die sind z. B. umsonst. Das sind tolle Lösungen, wenn einer wenig Geld hat. 

Am Tag des guten Lebens in Köln hatten wir Besuch aus Ecuador. Der Ökonom und Autor Alberto Acosta half dabei, Johannisbeersträucher zu pflanzen. Was hat es mit seinem Projekt auf sich. 
Alberto hat dieses tolle Konzept aus Südamerika mitgebracht: „Buen vivir“ – gut leben. Das geht von den Indigenen aus, denen unser Wachstumsdenken fremd ist. Es geht nicht darum, immer mehr zu arbeiten, um zu leben, sondern darum, gut zu leben. Manchmal ist es relativ simpel, so etwas zu begreifen. Wenn man sich einen Autounfall mit Blechschaden vorstellt, dann ist der gut für das Bruttosozialprodukt, denn wegen der Reparatur erzeugt das Wachstum. Trotzdem ist ein Unfall etwas, was wir gerne vermeiden würden, weil dadurch sinnlose Arbeit entsteht. Sollte man nicht da lieber die Füße hochlegen und sagen: ‚Wir machen nichts?‘ So ist das mit dem „buen vivir“ (Recht auf gutes Leben und Rechte der Natur). Wir sollten gemeinschaftlich nicht immer mehr, sondern immer besser wollen. Da kann besser mitunter auch weniger sein. 

Ich will gar nicht sagen, dass alle weniger haben sollten, aber die meisten haben doch viel zu viele Dinge um sich herum. Wir ersticken schier im Überfluss von Dingen, dann versuchen wir es, die auf dem Flohmarkt los zu werden und wenn das nicht geht, werfen wir sie weg. Was wir aber zu wenig haben, sind zwischenmenschliche Beziehungen. Sich darum zu kümmern, das ist ein ganz wichtiger Bestandteil einer Essbaren Stadt. Es geht nicht nur darum, dass Essen da ist, sondern dass etwas Gemeinschaftliches entsteht, dass Menschen in Kontakt miteinander treten, dass Menschen, die Nachbarn sind, zusammenfinden. Oft kennen sich Nachbarn gar nicht, stammen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten und haben nicht viele Berührungspunkte. Beim Gärtnern trifft man sich, hält ein Schwätzchen, und das sorgt für ein ganz anderes Gefühl. Wir brauchen einen Kitt. Die Menschen kommen aus allen Himmelsrichtungen, sind so unterschiedlich. Die treffen sich beim Essen. Und Essen ist der beste Kitt, den wir haben. Viel besser als Sport, den können ja nicht alle machen. Aber Essen gilt für alle. 

 

 

 

Ein  Interview  mit  Valentin  Thurn,  geführt  von  Helga  Fitzner  am  01.  Juli2018

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