Mit dem Projekt „Essbares Wohnumfeld“ haben wir neue Akteur:innengruppen in den Fokus genommen, sodass die Essbare Stadt auch in den Kölner Sozialräumen, bei Wohngesellschaften und bei Arbeitgeber:innen gedeiht. Wir können zu Beginn des Jahres 2024 auf zweieinhalb Jahre erfolgreiche Projektarbeit zurückblicken. Lest hier den Projektrückblick mit unseren Highlights und Erkenntnissen, mit einer Bilanz neuer Initiativen und den Perspektiven.
Stellt Euch folgendes einmal vor: Zwischen den Hochhäusern sind großflächige Beete angelegt, in denen die Bewohner:innen gemeinsam Rote Beete, Palmkohl und Spinat anpflanzen. Kräuter wie Rosmarin, Arnika, Ringelblume und Borretsch wachsen in einem Hochbeet. An einer Ecke sind die Beete eingefasst von Beerensträuchern. Ein kleiner bunter Bauwagen dient als Lager für die Geräte und Rückzugsraum für die Gärtner:innen bei schlechtem Wetter. Unterstützt werden die fleißigen Gärtner:innen von der Sozialraumkoordination im Veedel. Zu Beginn des Projekts waren viele skeptisch, hatten Sorge vor Vandalismus. Aber die Befürchtungen sollten sich nicht bewahrheiten.
Sowas geht nicht? Klar, geht das. Mit dem von der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW geförderten Projekt „Essbares Wohnumfeld“ hat der Ernährungsrat für Köln und Umgebung e.V. über zwei Jahre lang genau solche Projekte unterstützt. Realisiert wurden diese gemeinsam mit Wohngesellschaften, mit Veedelseinrichtungen oder in Unternehmen, die Firmengärten von und mit den Mitarbeiter:innen angelegt haben. Wir wollten damit zusätzlich zum Aktionsplan Essbare Stadt gezielt Akteur:innen ansprechen, die auch über eine große multiplikative Wirkung haben und die Idee der Essbaren Stadt so an immer mehr Menschen und Orte in Köln bringen.
Diversität grünt
Und im Dezember 2023 ist es tatsächlich soweit, dass wir auf zweieinhalb Jahre erfolgreiche Projektarbeit zurückblicken können. Losgelegt haben wir im August 2021 und im Winter 2022 hatten uns die Corona-Vorkehrungen tatsächlich noch einige Schwierigkeiten gemacht, sodass unsere beiden Workshops zur Ansprache von Mitgärtner:innen digital stattfinden mussten. Das hat den Ergebnissen aber trotzdem keinen Abbruch getan. Eine Initiative, die wir begleiteten, brauchte einen sehr langen Atem. Denn nach fast zwei Jahren mit bürokratischen Schleifen konnte sie endlich im Herbst 2023 die Obstbäume pflanzen. Andere Initiativen erlangten eine fantastische mediale Aufmerksamkeit (und nochmal) und wir erhoffen uns von dieser eine Leuchtturmwirkung für die gesamte Idee der Essbaren Stadt.
Und welche Highlights gab es in dem Projekt? Das ist aufgrund der Vielfältigkeit der verschiedenen Initiativen schwer zu sagen und wir sind froh über jede einzelne Initiative, die sich auf den Weg gemacht hat und die wir unterstützen konnten. Ein sicherlich einmaliges Erlebnis für uns war jedoch das Gärtnern mit Inhaftierten im Sicherheitsbereich des Kölner Gefängnisses. Das ist auf jeden Fall ein Gartenprojekt, an welches wir bei der Projektkonzeption nicht dachten.
Aber auch andere Begegnungen und Einblicke wurde uns so ermöglicht wie beim Mieter:innenfest der Wohnungsgesellschaft Aachener SWG mbH, dem Gartenworkshop bei REWE West oder der Teilnahme am Internationalen Museumstag mit einem Workshop auf der Dachterrasse des Museum Ludwig.
Mit unserem projekteigenen Lastenrad sind wir in Köln ganz schön rumgekommen, haben für das Projekt geworben oder das Lastenrad als Transportmittel und Arbeitstisch für die Gartenworkshops genutzt. Bewusst wurde uns in der Projektlaufzeit auch die Diversität der 15 Kölner Sozialräume. Beeindruckend war beispielsweise das Engagement des Runden Tischs Holweide, der mit seiner Initiative „Holweide grünt“ weitere Akteur:innen und Anwohner:innen aus dem Veedel aktiviert hat und mit unserer Unterstützung zum Essbaren Holweide beigetragen hat.
Veedelsinitiativen top, Mieter:innengärten flop?
Etwas Wichtiges konnten wir schon im ersten Projektjahr lernen: weg von klassischen Gemeinschaftsgärten hin zu extensiven, pflegeärmeren Projekten (Wildwiesen, Stauden- und Obstgehölzepflanzungen). Denn die klassischen, räumlich wie organisatorisch klar abgegrenzten Gemeinschaftsgärten eigneten sich nur selten für unsere Zielgruppen. Als hilfreich bei der Umsetzung erwies sich auch unser unkomplizierter Verfügungsfonds, bei dem Initiativen bis zu 500€ für Pflanzen, Material oder Workshops erhielten.
So können wir am Projektende auf folgende erfolgreich initiierte bzw. betreute Essbare (Garten-) Initiativen schauen.
- Demogarten Finkenberg (Sozialraum)
- Beerengarten des Bürgervereins Porz-Finkenberg (Sozialraum)
- Gärten der Initiative Hallo Nachbar! im Genovevahof in Mülheim und auf dem Ludwig-Quidde-Platz in Neubrück (Sozialraum)
- Holweide grünt: Beerenbeet auf dem Marktplatz, Neubepflanzung der Hochbeete auf dem Picco-Platz, essbarer Platz vor dem Kinder- und Jugendtreff (Sozialraum)
- Obstbaumallee am Kalkberg in Buchforst (Sozialraum)
- Mieter:innengarten der Aachener in Braunsfeld (Wohngesellschaft)
- Firmengarten bei Volkswagen OTLG GmbH (Firmengarten)
- Mitarbeiter:innen- und Inhaftiertengarten bei der Justizvollzugsanstalt Köln (Firmengarten)
- Überarbeitung des Firmengartenkonzepts bei REWE West (Firmengarten)
- Erneuerung des Mitarbeiter:innengartens des Museum Ludwig (Firmengarten)
Unser im Förderantrag formuliertes Ziel für das Projekt waren 12 Gärten, je vier im Sozialraum, mit Wohngesellschaften und bei Unternehmen. Zwar können wir inzwischen 13 erfolgreiche Gartenprojekte zählen, allerdings ist die Verteilung zwischen den Zielgruppen-Kategorien weniger ausgewogen als gedacht. Augenscheinlich ist hier die das Ungleichgewicht bei den Initiativen, die wir mit Wohngesellschaften starten konnten, und den Initiativen im Sozialraum. Aber der Reihe nach.
Unser Angebot bei Garteninitiativen zu unterstützen rief insbesondere in den Sozialräumen, die wir fast alle persönlich besuchten, sehr schnell Resonanz hervor. Es zeigte sich, dass die Vorteile von Gemeinschaftsgärten in der sozialen Arbeite bereits sehr populär sind. So keimten auch von Anfang an sehr viele Gartenideen auf. Nachhaltig und effektiv umgesetzt werden konnten diese dann im Großteil der Fälle nur mittels bezahltet Koordination vor Ort. Dann ist – das nötige gärtnerische Know-how vorausgesetzt – aber auch ein produktiver Ansatz, der einen substanziellen Beitrag zur Versorgung der Bewohner:innen mit Gemüse ermöglicht, machbar. Selbstkritisch können wir festhalten, dass unser Ansatz der eigenständigen Organisation der Gärtner:innen hier anscheinend an die Grenzen gekommen sind. Die Gründe dafür können vielfältig sein und sind für unsere Einblicke in die einzelnen Sozialräume nicht ausreichend zu ergründen. Was wir allerdings beobachten konnten und auch von einigen Sozialraumkoordinator:innen wiedergespiegelt bekamen, war, dass die (psychischen) Kapazitäten der Bewohner:innen im Berichtszeitraum sehr beansprucht waren (z.B. Corona (-Impfung), Geflüchtete aus der Ukraine, steigende Lebenshaltungskosten).
Grenzen des Engagements überwinden
Unternehmens- und Mitarbeiter:innengärten sind sehr schwer eigenständig umzusetzen, auch wenn die Unterstützung durch die Geschäftsführung da ist; da meist einfach die Zeit und z.T. auch das Interesse der Beschäftigten fehlt. Wir sind bei unseren Initiativen immer auf sehr engagierte Mitarbeiter:innen getroffen, die sich bei den Gartenprojekten jedoch mehr Engagement von ihren Kolleg:innen gewünscht haben. Hier könnten Modelle wie Gärtnern während der Arbeitszeit oder im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements sinnvoll sein. Zwar sind extensive Maßnahmen wie Gebäudebegrünung und Streuobstwiesen für Unternehmen leichter umzusetzen, zugleich aber teurer in der Anlage und sie bieten weniger Anreiz zur Einbindung der Beschäftigten.
Zu den Gärten mit Wohngesellschaften. Da hatten wir sicherlich gedacht, dass da doch mehr drin sein müsste. Andererseits konnten wir mit der Aachener Siedlungs- und Wohngesellschaft Kölns zweitgrößte Wohnungsvermieterin und auch eine große bundesweit tätige Wohngesellschaft gewinnen. Zu einer naheliegenden Zusammenarbeit mit der GAG, als weitgehend städtisches Unternehmen und Kölns größte Vermieterin, kam es nicht. Die GAG betreibt mit den Gartenclubs und in Kooperation mit dem Unternehmen Ackerpause bereits ein ähnliches Angebot wie wir. Die Beauftragung eines solchen Unternehmens kostet eine Wohngesellschaft zwar mehr, aber verschafft ihr auch ein full-service-Angebot für Ihre Mieter:innen im Gegensatz zu unserem partizipativen und eigenverantwortlichen Ansatz. Möglicherweise ist Letzteres nicht von allen Wohngesellschaften gewünscht.
Perspektive: Garten starten!
Auch wenn das aktive Projekt nun zum Ende gekommen ist, so gibt es doch einige dadurch angestoßene Prozesse, die weiterlaufen werden. Zunächst ist da natürlich das Handbuch „Garten starten!“ zu nennen, das wir genau aus dem Grund unsere Erfahrungen projekt- und auch ortsunabhängig weiterzugeben, erstellt haben. Auch wenn es sich projektbedingt auf Sozialräume, Wohngesellschaften und Unternehmen bzw. Arbeitgeber:innen bezieht, sind die Informationen für alle (Neu-) Gärtner:innen gültig. Aber auch diejenigen, die immer mal wieder ein paar wertvolle Tipps zum Gärtnern in der Essbaren Stadt suchen, sollen hier fündig werden.
Das Handbuch liegt zum einen praktisch als schmale Druckversion vor, um direkt im Garten konsultiert und durchgeblättert werden zu können. Und zum anderen gibt es die erweiterte und beständig aktualisierte Onlineversion.
Davon unabhängig haben sich für uns durch viele schöne Begegnungen wertvolle neue Kontakte und Ansatzpunkte ergeben. So haben wir auch die Möglichkeit unsere Erfahrungen zum essbaren Wohnumfeld in die Stadtentwicklung einzubringen, wie beispielsweise im Projekt PorzPlant! in Wahn der BauData-Gruppe. Damit kann auch Wohngesellschaften besser einbezogen werden, wenn Essbares Grün bei der Planung und Entwicklung neuer Stadtquartiere mitgedacht wird. Darüber hinaus hat sich ein informelles Firmengartennetzwerk gegründet und in einer ersten Firmengartenexkursion lernten sich die Teilnehmenden persönlich kennen. Weitere dieser Exkursionen sollen im Frühjahr 2024 folgen. Und diese kommen offenbar zum richtigen Zeitpunkt, zeigt sich doch, dass Unternehmen und auch öffentlichen Einrichtungen verstärktes Interesse an Umweltmaßnahmen auf ihrem Firmengelände haben. Da diese zunehmend zu Nachhaltigkeitsberichtswesen verpflichtet werden. Ebenso wird mit Maßnahmen zur Verringerung oder Kompensation des CO2-Ausstoßes – wie der Anbau von Gemüse und Obst für die Kantine auf dem Firmengelände experimentiert.
Gleichzeitig möchten wir weiterhin die Menschen in Köln ermutigen, sich selbst bei der Umsetzung der Essbaren Stadt durch die Gestaltung ihres Lebens-, Wohn- oder Arbeitsumfelds zu engagieren. Und einen kleinen dauerhaften Beitrag dazu sollen auch unsere Testimonial-Videos zur Essbaren Stadt leisten, die wir kontinuierlich in unsere Sozialen Medien und unsere Öffentlichkeitsarbeit einbinden.
Eindrücke aus dem „Essbaren Wohnumfeld“
Fotos: Ernährungsrat für Köln und Umgebung e.V. // Leonie Braun (Museum Ludwig) // Hallo Nachbar! // RheinEnergie